Es ist gut, dass die Fußball-Europameisterschaft beginnt, gut für den in Depression befindlichen Gastgeber, gut für Deutschland und gut für die Türkei. Vieles läuft zur Zeit schief im Erdoğan-Land, aber auch Manches in der Bundesrepublik. Wie zu befürchten war, hat die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages die Debatten nicht beendet, sondern angefeuert. Nur der Fussball scheint zur Zeit in der Lage, für andere Themen zu sorgen. Denn im Grunde genommen kennt Deutschland seit September letzten Jahres nur zwei: die Flüchtlingsproblematik und die Beziehung zum „Schlüsselland“ Türkei, wie es die Kanzlerin formuliert hat. Nach dem Schlüssel wird vor allem in Berlin Tag für Tag gesucht. Allem Anschein nach ist er vor der kleinasiatischen Küste im Meer versunken, die Chancen, ihn zu finden, sind immer noch da, aber sie sind gering. Nun muss alles dafür getan werden, dass Vernunft und Augenmaß in den Diskussionen herrscht oder wieder einzieht.
Noch immer haben es die Menschen, die sich der Gülen-Bewegung (auch Hizmet) verbunden fühlen, in Deutschland nicht leicht. Aber wenn die 2. Jahrestagung der Stiftung Dialog und Bildung, die am Wochenende in einem Hotel an der Frankfurter Peripherie stattfand, ein Gradmesser war, dann sind die ermutigenden Zeichen und Fortschritte unübersehbar. Das liegt zum einen daran, dass sich die Bewegung als eine lernende ansieht, zum anderen daran, dass das Interesse der Wissenschaft und der Qualitätsmedien an Hizmet wächst.
Das gut besuchte zweitätige Treffen, an dem etwa 100 aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Österreich und der Schweiz angereiste Personen teilnahmen, verzeichnete eine ganze Reihe von Höhepunkten. Die vielleicht bewegendsten Minuten gab es bei der Verleihung des Dialog-Preises an den aus Äthiopien stammenden Prinzen Asfa-Wossen Asferate, der seit 30 Jahren in der Bundesrepublik lebt und einem größeren Publikum durch sein hinreißendes Buch „Manieren“ bekannt ist – wenn man so will, eine Kulturgeschichte Deutschlands. Man konnte eine Stecknadel fallen hören, als er von seinem uralten, aus dem Hause David stammenden Geschlecht erzählte, von der Rolle Äthiopiens als erstem Zufluchtsort für in Bedrängnis geratene Muslime im 7. Jahrhundert! Der so Geehrte nutzte die Preisverleihung, einen Friedensappell an die europäische Gesellschaft, ja an die Weltgesellschaft zu richten. Denn unausgesprochen überschatteten die jüngsten Ereignisse von Paris den Gedankenaustausch, der angesichts der globalen Herausforderungen im Zeichen des Engagements von Hizmet für universelle Werte stand.
Die Debatten in Deutschland verlaufen aufgeregt. Eine Wohlstandsgesellschaft, die von keinen allzu großen Sorgen geplagt wird, neigt zu Übertreibungen, zu obsessiver Beschäftigung mit Themen, die kommen und gehen. Die Politik befindet sich in der Winterpause, umso mehr beherrschen sogenannte „Experten“ die öffentlichen Debatten. Zu dem einen großen Thema, das die Republik seit Wochen beschäftigt, Stichwort Pegida, ist beinahe alles gesagt worden, zu einem anderen erstaunlich wenig, nämlich wie es mit der Türkei weitergehen wird.
Ungläubig, wie im Falle von Putins Russland, verfolgen wir die Entwicklung, die das Land nimmt, dessen Megacity Istanbul – die größte Stadt des Kontinents – den Brückenschlag zwischen europäischer und nahöstlicher Welt versinnbildlicht. Die Silhouette der Stadt wird von Besuch zu Besuch westlicher, während die türkische Politik diesem Teil der Welt zunehmend den Rücken kehrt. Gewaltenteilung, demokratische Rechte, die Unabhängigkeit der Presse, haben in der Türkei in den letzten eineinhalb Jahren stark gelitten. Aber noch sind Einsicht, Umkehr möglich. Aber dringen entsprechende Signale an das Ohr des Mannes, der sich selbst in den Sattel gesetzt und mit einem geradezu märchenhaften Palastbau sich zu Lebezeiten ein Denkmal für die Ewigkeit geschaffen hat?
Für die Deutsch-Türken, im Grunde genommen für alle Einwanderer der letzten Jahrzehnte, war der 9. November 2014, der 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, nicht ganz einfach zu verstehen. Die Mehrheitsdeutschen waren weitgehend unter sich, man feierte einen nationalen Gedenktag, den schönsten Tag in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Neuhinzugekommenen blieben – von Ausnahmen abgesehen – außen vor. Besonders ausgelassen feierte man in den Berliner Stadtteilen, in denen der Verlauf der Mauer durch eine Lichterkette markiert worden war.
Wie ist dieses „nationale“ Freudenfest, das den Neuen nicht ausschließt, aber eben auch nicht ganz einschließt, zu erklären? Ich glaube, es hat eine Menge mit der Verspätung der Ostdeutschen zu tun, Teil der Nation zu werden, an ihrem Wohlstand zu partizipieren und Frieden mit der der Geschichte zu machen. Denn es waren die Ostdeutschen, die vor allem für die katastrophal verlaufene Geschichte zwischen 1933-1945 bezahlt haben, die jahrzehntelang zu den unterdrückten Völkern Osteuropas gehörten, bis sie endlich die Freiheit erlangten, voran die Freiheit, zu reisen. Würde man unter den heutigen Ostdeutschen zwischen 25 und 55 eine Umfrage machen, würde sich herausstellen, dass sie mehr als die Westdeutschen gereist sind, dass sie wie im Rausch das nachgeholt haben, was ihnen lange Zeit verwehrt war. „Ich habe fest daran geglaubt, eines Tages London und Paris zu sehen“, sagte mir dieser Tage eine Galeristin aus Potsdam.
Das Ambiente war bescheidener als letztes Jahr, das Hotel näher zum Berliner Hauptbahnhof gelegen als zum Bundeskanzleramt, wie der Beiname nahelegte, umso besser war die Stimmung. Man kann sagen, der Deutsche Dialogpreis ist mit der zweiten Vergabe in der Hauptstadt angekommen.
Mehrere Ursachen trugen dazu bei: der Veranstalter, der Bund Deutscher Dialoginstitutionen (BDDI) hatte ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Preisträger bewiesen, die Einspielfilme, in denen die Geehrten porträtiert wurden, „saßen“, die Lobreden waren gut, und schließlich schwang sich der Moderator des Abend nach anfänglicher Nervosität zur Höchstform auf. Derartige Auftritte hätte man gern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Schließlich, auch ein Hinweis darauf, dass der Preis „angekommen“ ist: die Deutsch-Türken, die Fethullah Gülen nahestehen, sind nicht länger mit einem überschaubaren Freundeskreis unter sich, die Mehrheitsgesellschaft ist neugierig geworden, die breite Zusammensetzung der Abendgesellschaft zeigte dies an.
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Die Freunde und Anhänger von Fethullah Gülen haben zweieinhalb Jahre hinter sich, die es in sich hatten. Ein polemischer SPIEGEL-Artikel im Sommer 2012 hatte eine Flut von Beiträgen im Fernsehen, im Hörfunk und in Tageszeitungen zur Folge, gegen die die Dialogvereine, die Schulen und im öffentlichen Rampenlicht stehende Personen und Unterstützer mit Mühe ankämpften. Von einer Geheimorganisation, von einer Unterwanderung der Gesellschaft mit dem Ziel, Deutschland in eine islamische Republik zu verwandeln, war die Rede. Interessanterweise beteiligten sich die beiden führenden deutschsprachigen Tageszeitungen nicht an diesem Kesseltreiben: die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung.
Spätestens im zurückliegenden Sommer wurde deutlich, dass sich die Kampagnen mit Text- und Bildmanipulationen, mit Zitat-Fälschungen und unrichtigen Behauptungen erschöpft haben. Und dafür gibt es drei Ursachen: die veränderte Situation in der türkischen Innenpolitik, die eine differenziertere Betrachtungsweise erfordert, das Erscheinen von wissenschaftlichen Beiträgen und Büchern über die Rolle der Gülen-Bewegung in Deutschland, voran eine Studie der renommierten Denkfabrik ‚Wissenschaft und Politik‘ (SWP) in Berlin und schließlich die erlösende Nachricht aus Stuttgart, dass die Gülen-Bewegung vom Verfassungsschutz nicht beobachtet werde. Es gebe keinen Grund dazu.
In den Tagen des letzten Gaza-Krieges sind bei einer Demonstration in Berlin Parolen skandiert worden, gegen die die Polizei sofort hätte vorgehen müssen. Es waren unfassbare antisemitische Slogans, wie sie in Deutschland seit 1945 nicht mehr zu hören waren. Und solche dürfen auch dann nicht fallen, wenn die Emotionen hoch gehen. Denn sie haben mit dem aktuellen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, zu dem man sehr unterschiedliche Meinungen haben kann, nichts zu tun.
Mit einigen Wochen Verspätung kam es nun am Wochenende zu einer Gegendemonstration unter dem Motto: „Steh auf – nie wieder Judenhass“, bei der die Bundeskanzlerin eine Rede hielt. Angela Merkel verurteilte dabei mit deutlichen Worten nicht nur die Hassparolen, die im Rahmen der Demonstrationen skandiert worden waren, sondern auch Übergriffe auf Kippaträger im Alltag und die Schändung von Friedhöfen und Synagogen.
„Mit dieser Kundgebung machen wir unmissverständlich klar: Jüdisches Leben gehört zu uns. Es ist Teil unserer Identität und Kultur“, äußerte die Kanzlerin und verurteilte im Namen der gesamten Bundesregierung Judenfeindlichkeit in Deutschland und Europa sowie antisemitische Äußerungen und Übergriffe.
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Von dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Günter Grass stammt der Satz, wonach der Fortschritt eine Schnecke sei. Das gilt für viele Bereiche, auch das Zusammenleben und Zusammenwachsen von Gesellschaften. Aber mitunter kommt es zu Überraschungen, bewegen sich die Dinge schneller als gedacht.
Die Freunde und Anhänger der Hizmet-Bewegung haben schwere Zeiten hinter sich. Die letzten Jahre waren nicht einfach. Obwohl sich in der Kommunikation nach innen und außen viel getan hat, kämpfen die Dialogvereine und Schulen gegen viele Vorurteile an. Anstatt auf florierende und gut funktionierende Bildungseinrichtungen zu schauen, die es oft genug in unmittelbarer Nachbarschaft gibt, wird bei neuen Schulinitiativen so getan, als handele es sich um einen einmaligen Vorgang, der gründlich durch die Politik, die Behörden und natürlich den Verfassungsschutz überprüft werden müsse.
Mitunter reicht ein Plakat auf der Wiese vor dem Reichstag, das fünf oder sechs Personen hochhalten, um ein Kamerateam anzulocken oder einen Protest zu formulieren, über den der Reporter mitschreibt und den er ins Blatt bringt. Um relevante Gruppierungen, die viel für diese Gesellschaft tun, wird hingegen ein Bogen gemacht.
Zu den unangenehmen Charaktereigenschaften dieses Landes gehört, wegzuschauen, wegzusehen, wenn einem die Hand gereicht wird. Man ist sehr oft erstaunt, worüber die Lokalzeitungen und die Fernsehanstalten in ihren Abendnachrichten berichten. Mitunter reicht ein Plakat auf der Wiese vor dem Reichstag, das fünf oder sechs Personen hochhalten, um ein Kamerateam anzulocken oder einen Protest zu formulieren, über den der Reporter mitschreibt und den er ins Blatt bringt. Um relevante Gruppierungen, die viel für diese Gesellschaft tun, wird hingegen gerne ein Bogen gemacht. Alles oder sehr viel, von dem was sie machen, wird verschwiegen. Denn was im Fernsehen nicht vorkommt, so die Bauernregel, findet nicht statt.
Weiterlesen Das Schweigekartell der deutschen Medien gegenüber der Gülen-Bewegung
Die öffentliche Wahrnehmung der Hizmet-Bewegung in Deutschland leidet unter mehreren Handicaps: Wissen um die Türkei, den Islam und Gruppierungen der Deutsch-Türken in der Bundesrepublik sind gering. Vorurteile lassen sich rasch mobilisieren.
In den Medien sind mittlerweile Netzwerke erkennbar, die es erlauben, mit hoher Präzision das Zusammenspiel einer Handvoll von Aktivisten zu identifizieren, die sich bei ihrer Kritik an der Hizmet-Bewegung in Deutschland auf einige wenige „Kronzeugen“ berufen – und fast immer sind es die gleichen. Der bekannteste von ihnen dürfte Friedmann Eißler sein, wissenschaftlicher Referent an der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Kaum jemand kennt den promovierten Theologen, der sich als Islamexperte bezeichnet und sich seit einigen Jahren speziell mit der Hizmet-Bewegung befasst.
Bei Veranstaltungen oder in den Dialogkreisen der Bewegung ist Eißler bislang genauso wenig in Erscheinung getreten wie in Schulen oder an anderer Stelle, an denen sich die Chance bieten würde, aus erster Hand Näheres über den Kreis der Anhänger Gülens in Erfahrung zu bringen. Dafür taucht Eißler in beinahe jedem kritischen Zeitungsartikel und als Interviewpartner in Hörfunksendungen der ARD über die Hizmet-Bewegung auf.
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