Es ist gut, dass die Fußball-Europameisterschaft beginnt, gut für den in Depression befindlichen Gastgeber, gut für Deutschland und gut für die Türkei. Vieles läuft zur Zeit schief im Erdoğan-Land, aber auch Manches in der Bundesrepublik. Wie zu befürchten war, hat die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages die Debatten nicht beendet, sondern angefeuert. Nur der Fussball scheint zur Zeit in der Lage, für andere Themen zu sorgen. Denn im Grunde genommen kennt Deutschland seit September letzten Jahres nur zwei: die Flüchtlingsproblematik und die Beziehung zum „Schlüsselland“ Türkei, wie es die Kanzlerin formuliert hat. Nach dem Schlüssel wird vor allem in Berlin Tag für Tag gesucht. Allem Anschein nach ist er vor der kleinasiatischen Küste im Meer versunken, die Chancen, ihn zu finden, sind immer noch da, aber sie sind gering. Nun muss alles dafür getan werden, dass Vernunft und Augenmaß in den Diskussionen herrscht oder wieder einzieht.
In den Jahren, als es den Zeitungen noch gut ging, hatte ich das Glück, an einer Reihe von Plätzen auf der Welt große Zeitungshäuser und Redaktionen zu besuchen. Zwei davon sind mir in besonderer Erinnerung geblieben, ein Tag bei der New York Times in Manhattan, in dem gigantischen Newsroom und zwei Besuche bei der Tageszeitung Zaman in Istanbul. Ein vergleichbares Verlagszentrum, das eine derartige Klasse und Modernität ausstrahlt – man muss heute wohl sagen: ausstrahlte – gibt es in Deutschland nicht. Wenn man durch die Flure des Hauses ging, in denen täglich eine Zeitung mit einer verkauften Auflage von über 1 Millionen Exemplar entstand, gewann man rasch den Eindruck von einer Avantgardeveranstaltung der Türkei. An keinem anderen Ort in Istanbul war man sich so sicher, dass sich das Land auf dem Weg in eine Moderne befand, in der die großen Zukunftsaufgaben der im Aufbruch befindlichen Türkei gelöst würden. Zaman stand für die türkische Zivilgesellschaft, für eine neue Generation mit hervorragender Ausbildung, Westorientierung, mit Internationalität, die die leitenden Redakteure des Hauses perfekt verkörperten. Aber nicht nur das, bei Zaman wurde an etwas geglaubt, der Gebäudekomplex verströmte Kraft, Dynamik.
Weiterlesen Mein letzter Besuch in der Zaman-Redaktion in Istanbul
Noch immer haben es die Menschen, die sich der Gülen-Bewegung (auch Hizmet) verbunden fühlen, in Deutschland nicht leicht. Aber wenn die 2. Jahrestagung der Stiftung Dialog und Bildung, die am Wochenende in einem Hotel an der Frankfurter Peripherie stattfand, ein Gradmesser war, dann sind die ermutigenden Zeichen und Fortschritte unübersehbar. Das liegt zum einen daran, dass sich die Bewegung als eine lernende ansieht, zum anderen daran, dass das Interesse der Wissenschaft und der Qualitätsmedien an Hizmet wächst.
Das gut besuchte zweitätige Treffen, an dem etwa 100 aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Österreich und der Schweiz angereiste Personen teilnahmen, verzeichnete eine ganze Reihe von Höhepunkten. Die vielleicht bewegendsten Minuten gab es bei der Verleihung des Dialog-Preises an den aus Äthiopien stammenden Prinzen Asfa-Wossen Asferate, der seit 30 Jahren in der Bundesrepublik lebt und einem größeren Publikum durch sein hinreißendes Buch „Manieren“ bekannt ist – wenn man so will, eine Kulturgeschichte Deutschlands. Man konnte eine Stecknadel fallen hören, als er von seinem uralten, aus dem Hause David stammenden Geschlecht erzählte, von der Rolle Äthiopiens als erstem Zufluchtsort für in Bedrängnis geratene Muslime im 7. Jahrhundert! Der so Geehrte nutzte die Preisverleihung, einen Friedensappell an die europäische Gesellschaft, ja an die Weltgesellschaft zu richten. Denn unausgesprochen überschatteten die jüngsten Ereignisse von Paris den Gedankenaustausch, der angesichts der globalen Herausforderungen im Zeichen des Engagements von Hizmet für universelle Werte stand.
Die Debatten in Deutschland verlaufen aufgeregt. Eine Wohlstandsgesellschaft, die von keinen allzu großen Sorgen geplagt wird, neigt zu Übertreibungen, zu obsessiver Beschäftigung mit Themen, die kommen und gehen. Die Politik befindet sich in der Winterpause, umso mehr beherrschen sogenannte „Experten“ die öffentlichen Debatten. Zu dem einen großen Thema, das die Republik seit Wochen beschäftigt, Stichwort Pegida, ist beinahe alles gesagt worden, zu einem anderen erstaunlich wenig, nämlich wie es mit der Türkei weitergehen wird.
Ungläubig, wie im Falle von Putins Russland, verfolgen wir die Entwicklung, die das Land nimmt, dessen Megacity Istanbul – die größte Stadt des Kontinents – den Brückenschlag zwischen europäischer und nahöstlicher Welt versinnbildlicht. Die Silhouette der Stadt wird von Besuch zu Besuch westlicher, während die türkische Politik diesem Teil der Welt zunehmend den Rücken kehrt. Gewaltenteilung, demokratische Rechte, die Unabhängigkeit der Presse, haben in der Türkei in den letzten eineinhalb Jahren stark gelitten. Aber noch sind Einsicht, Umkehr möglich. Aber dringen entsprechende Signale an das Ohr des Mannes, der sich selbst in den Sattel gesetzt und mit einem geradezu märchenhaften Palastbau sich zu Lebezeiten ein Denkmal für die Ewigkeit geschaffen hat?
Von dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Günter Grass stammt der Satz, wonach der Fortschritt eine Schnecke sei. Das gilt für viele Bereiche, auch das Zusammenleben und Zusammenwachsen von Gesellschaften. Aber mitunter kommt es zu Überraschungen, bewegen sich die Dinge schneller als gedacht.
Die Freunde und Anhänger der Hizmet-Bewegung haben schwere Zeiten hinter sich. Die letzten Jahre waren nicht einfach. Obwohl sich in der Kommunikation nach innen und außen viel getan hat, kämpfen die Dialogvereine und Schulen gegen viele Vorurteile an. Anstatt auf florierende und gut funktionierende Bildungseinrichtungen zu schauen, die es oft genug in unmittelbarer Nachbarschaft gibt, wird bei neuen Schulinitiativen so getan, als handele es sich um einen einmaligen Vorgang, der gründlich durch die Politik, die Behörden und natürlich den Verfassungsschutz überprüft werden müsse.
Die öffentliche Wahrnehmung der Hizmet-Bewegung in Deutschland leidet unter mehreren Handicaps: Wissen um die Türkei, den Islam und Gruppierungen der Deutsch-Türken in der Bundesrepublik sind gering. Vorurteile lassen sich rasch mobilisieren.
In den Medien sind mittlerweile Netzwerke erkennbar, die es erlauben, mit hoher Präzision das Zusammenspiel einer Handvoll von Aktivisten zu identifizieren, die sich bei ihrer Kritik an der Hizmet-Bewegung in Deutschland auf einige wenige „Kronzeugen“ berufen – und fast immer sind es die gleichen. Der bekannteste von ihnen dürfte Friedmann Eißler sein, wissenschaftlicher Referent an der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Kaum jemand kennt den promovierten Theologen, der sich als Islamexperte bezeichnet und sich seit einigen Jahren speziell mit der Hizmet-Bewegung befasst.
Bei Veranstaltungen oder in den Dialogkreisen der Bewegung ist Eißler bislang genauso wenig in Erscheinung getreten wie in Schulen oder an anderer Stelle, an denen sich die Chance bieten würde, aus erster Hand Näheres über den Kreis der Anhänger Gülens in Erfahrung zu bringen. Dafür taucht Eißler in beinahe jedem kritischen Zeitungsartikel und als Interviewpartner in Hörfunksendungen der ARD über die Hizmet-Bewegung auf.
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