Es ist schon bemerkenswert, wie man den Ausgang von drei Landtagswahlen interpretieren kann, bei denen es um ein einziges Thema ging, das Deutschland seit dem letzten Sommer umtreibt. Der Befund ist daher klar: Es war eine krachende Niederlage für die Große Koalition in Berlin, denn knapp zwanzig Prozent von rund 64 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland konnten am Sonntag ihre Stimme abgeben. Ein Votum für die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin war es gewiss nicht. Viele haben einer Partei, die es erst seit kurzem gibt, über die wenig bekannt ist, einen Blankoscheck ausgestellt, und die anderen haben charismatische Führungspersönlichkeiten gewählt, in der Hoffnung, dass sie „es richten werden“, wie man in Baden-Württemberg so schön sagt.
Für alle, die sich Sorgen über den Kurs des Landes machen, lautet die beruhigende Nachricht, dass die Bundesrepublik eine stabile Demokratie ist und bleibt. Die Parteien haben es weiterhin in der Hand, mit einer vernünftigen Politik die Wähler für sich zu gewinnen und auch jene zurückzugewinnen, die jetzt in eine Protesthaltung übergewechselt sind und die AfD gewählt haben. Aber es kann nur davor gewarnt werden, die AfD als eine rechtsradikale Partei anzusehen, die – wie Außenminister Steinmeier gerade sagte – dem Ansehen der Bundesrepublik in der Welt schade. Solange die aktuelle Flüchtlingsproblematik anhält und die Regierung Merkel in ihr hilflos wirkt, wird sich am Zulauf zur AfD nichts ändern. Im Gegenteil, mit ihrem allgemeinen Palaver nach den Wahlen befinden sich CDU und SPD auf dem besten Weg, die AfD bei den kommenden Wahlen in diesem Jahr noch größer zu machen.
Bei einer Talkshow in der ARD entstand am Montagabend eine eigentümliche Lage, als der Moderator der Sendung eine Protestwählerin präsentierte, die als frühere Anhängerin und Wählerin der Grünen dieses Mal die AfD gewählt hat. Man konnte eine Stecknadel fallen hören, als die Dame, zunächst etwas stockend, ihren Entwicklungsprozess hin zu dieser Wahlentscheidung schilderte und mit klaren Worten ihre Sorgen formulierte. Die Reaktion der beiden Spitzenpolitiker von CDU und SPD, immerhin Kanzleramtschef Peter Altmeier und Thomas Oppermann, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, war bemerkenswert hilflos. Sie machten aus der Schilderung der überzeugend auftretenden Wählerin einen Einzelfall, sie waren unfähig, vor allem sprachlich, auf die Dame einzugehen, in deren Worten sich die ganze Zerrissenheit der gegenwärtigen bundesrepublikanischen Gesellschaft zeigte. Darüber hinwegzugehen, den Wahlausgang, wie es Verteidigungsministerin von der Leyen am Wahlabend tat, als Entscheidung für die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel zu werten, ist mehr als fahrlässig. Diese Interpretation des Wahlausgangs heizt den Wählerverdruss noch an.
Das politische Schicksal von Angela Merkel liegt nun – und das auf absehbare Zeit – in den Händen der EU, der Türkei und der Akteure im Syrien-Konflikt. Mit Sicherheit hat der Wahlausgang die Verhandlungsposition der Kanzlerin in Brüssel nicht gestärkt. Viele werden nun abwarten, wie sich die innenpolitische Situation in Deutschland weiter entwickelt. Die Türkei, für die Kanzlerin das „Schlüsselland“ bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme, gerät immer mehr in den Strudel alter Konflikte, die aufgrund der Kette von Anschlägen zunehmend eine Eigendynamik entwickeln. Anders gesagt, Präsident Erdoğan und sein Premier Davutoğlu müssen Krisenmanagement betreiben, die Verhandlungen mit der EU und mit Deutschland werden zum „Nebenkriegsschauplatz“, zumal auch die Entwicklungen in Syrien und die hoch bewegliche russische Außenpolitik verfolgt werden müssen. Sie enthält, wie der Teilabzug der Russen aus Syrien zeigt, jederzeit Überraschungsmomente bereit.
Der Exodus aus den Krisengebieten jenseits von Syrien geht unterdessen weiter. Und nirgendwo sind die EU oder Deutschland als Akteure sichtbar, die gestaltend auf die Zukunft des Kontinents Einfluss nehmen. „Trittbrettfahrer“ hat der bald aus dem Amt scheidende amerikanische Präsident Obama die Europäer genannt, die sich zulange darauf verlassen haben, daß die USA die Verhältnisse vor der Haustür regeln. In Wahrheit hat hier das Flüchtlingsproblem seinen Anfang genommen, dem die Regierung Merkel nicht mehr entrinnen kann. Es ist noch nicht zu spät, die Ursachen zu benennen und eine aktive europäische Außenpolitik zu betreiben. Ein Zusammenlegen aller Ressourcen, beginnend im militärischen Bereich, würden AfD und Front National und wie sie alle heißen, vermutlich rasch das Wasser abgraben. Europa wäre auf einmal da.
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