Es gibt Tage und Stunden, da wäre ich lieber Franzose, Brite oder Amerikaner. Der Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie ist so ein Datum. Aber erstaunlicherweise ist über die Jahre eine Veränderung eingetreten.
Vor 20 Jahren gab es eine endlose Diskussion darüber, ob der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl an den Feierlichkeiten teilnehmen solle oder dürfe. Der Fall der Mauer, die deutsche Wiedervereinigung lagen noch nicht lange zurück, die euphorische Stimmung in Europa hielt an. Aber Kohl bekam von seinem Freund Mitterrand keine Einladung. Die Siegermächte von einst wollten (noch) unter sich bleiben.
Heutzutage ist eine Einladung an einen deutschen Regierungschef eine Selbstverständlichkeit. Aber man merkte der sich in aller Regel sehr gut selbstkontrollierenden Angela Merkel an, wie sehr sie die Stunden an den Stränden der Normandie beeindruckten. Natürlich hing dies auch mit der Mittlerrolle zusammen, die der Bundeskanzlerin am 6. Juni 2014 zufiel, Obama und Putin zurück ins Gespräch zu bringen, einen Kontakt zwischen dem russischen Präsidenten und seinem neuen Partner in der Ukraine, einem Oligarchen, herzustellen. Aber das kann nicht die alleinige Erklärung für die bei einem TV-Interview sichtlich um Fassung ringende Kanzlerin gewesen sein. Sondern es war der historische Moment, der im Angesicht der ukrainischen Krise vermutlich zum letzten Male die Politiker und die Zeitzeugen des Ereignisses vor 70 Jahren zusammenbrachte, gebündelt in dem Gedanken: Nie wieder.
Man muss diesen Teil der französischen Küste am Ärmelkanal einmal gesehen haben, um zu begreifen, was sich damals dort abspielte, vor allem im Landeabschnitt der Amerikaner entlang einer hoch aufragende Steilküste, an der die GIs im deutschen Abwehrfeuer an den Felsen emporklettern mussten. Es muss eines außerordentlichen Mutes bedurft haben, um hier an Land zu gehen. Den militärischen Planern war dies klar, sie kalkulierten enorme Verluste an den ersten Tagen ein. Genauso wichtig: es waren Demokratien, die ihren Bürgern in Uniform abverlangten, für die Befreiung Europas ihr Leben zu wagen. Die Amerikaner und Kanadier waren Tausende von Kilometern von der Heimat entfernt. Diese Landung war darüber hinaus hochriskant, sie hätte bei anderem Verlauf in einer Tragödie enden können, ohne dass dies am Ablauf des Zweiten Weltkriegs etwas geändert hätte. Hitler-Deutschland musste von einer Weltkoalition niedergerungen werden. Es konnte sich selbst von dem Diktator nicht befreien. Der letzte Versuch, sechs Wochen nach dem D-Day, scheiterte bekanntlicherweise im Berliner Bendler-Block.
Im Osten wächst die Sorge vor einem deutsch-russischen „Arrangement“
Merkel und den übrigen deutschen Teilnehmern an den Feierlichkeiten in der Normandie dürfte stärker als sonst bewusst geworden sein, wie wichtig der Platz für die Deutschen im westlichen Bündnis ist. Für erhebliche Irritation hat in der Regierung nämlich gesorgt, dass sich die deutsche Bevölkerung dieses entscheidenden Umstandes anscheinend nicht länger bewusst ist. Seit Ausbruch der Ukraine-Krise herrscht im Lande ein Gefühl der Äquidistanz zwischen Russland und Amerika, die auf viele Beobachter irritierend wirkt und von den Russen genau registriert wird. Sie verstehen auf der Klaviatur deutscher Sehnsüchte und Einstellungen hervorragend zu spielen. In Polen und den baltischen Saaten ist die Sorge gewachsen, dass sich Russland und Deutschland – wie schön öfters in der Geschichte – auf Kosten der anderen „arrangieren“ könnten. Umso wichtiger war das optische Signal, das von der Normandie nach Deutschland gesendet wurde: Mitglied einer politischen Kultur und Wertegemeinschaft zu sein, die im Notfall Risiken eingeht, wenn die Freiheit und der Rechtsstaat auf dem Spiel stehen.
So gesehen wird der Fortgang der Ereignisse in Europa auch durch die Symbolik des 6. Juni 2014 geprägt werden, zum Guten – dass der Jahrestag die Kontrahenten Russland und Amerika endlich wieder zurück ins direkte Gespräch brachte – zum Schlechten – dass sich der Westen und damit auch Deutschland der Herausforderung bewusst werden, notfalls zu reagieren, wenn der Schwelbrand, den die Russen in der Ukraine gelegt haben, sich weiterfrisst. Die Meldungen, die aus dem Osten des Landes kommen, klangen am D-Day-Jahrestag in Frankreich nicht gut, im Gegenteil, sie lassen Schlimmstes befürchten.
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