Deutschland jubelt über das bevorstehende deutsche Champions-League-Finale. Das Land ist jetzt Fußball-Führungsmacht in Europa. Andere Länder könnten nun auch politisch auf mehr deutsche Führung in Europa drängen. Aber die kostet Geld.
Noch weiß die Bundeskanzlerin nicht, ob sie am 25. Mai im Londoner Wembley-Stadion das deutsche Finale in der Champions-League verfolgen kann. Das hängt von Uli Hoeneß ab. Wenn er kommt, darf sie nicht zu den Spielern in die Kabinen. Denn bis zu den Bundestagswahlen kann sie sich mit dem starken Mann von Bayern München zumindest öffentlich nicht sehen lassen. Ihren Part könnte Hannelore Kraft übernehmen, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Sie kommt aus Mülheim an der Ruhr, aber in dieser Gegend ist jeder Borussen-Fan. Die Bayern bereiten Frau Merkel gegenwärtig ohnehin eine Menge Probleme. Die sogenannte Amigo-Affäre hat zutage gefördert, dass ein erheblicher Teil der bestens bezahlten Parlamentarier Ehefrauen, Kinder und Verwandte als Mitarbeiter beschäftigt hat. Die bayerische Provinz bebt: Zocker und Zecher auf Kosten des Steuerzahlers.
Nichts könnte die Nähe von Politik und Fußball, die Auswirkungen eines Sieges auf dem grünen Rasen besser unterstreichen, als das Rätselraten, wer aus der politischen Klasse in Wembley dabei sein wird. Sicher ist nur, dass es für Angela Merkel teuer werden wird, egal ob die Bayern gewinnen oder Borussia Dortmund. Denn ganz Europa, ja die ganze Welt werden dieses Spiel als besten Beleg dafür ansehen, dass Deutschland die europäische Großmacht ist. Aber wer siegt, muss auch bezahlen.
Hohe Erwartungen
Griechen, Italiener, Spanier und Portugiesen feilen an ihrer Argumentation, während Dante, Müller, Reus und Lewandowski um jeden Meter kämpfen. Das Zeitalter der Kriege ist in Europa vorbei, glücklicherweise. Aber es müssen Symbole bedient werden und Ersatzhandlungen her. Und nichts kann für 90 Minuten den Stellenwert einer Nation im Konzert der Konkurrenten besser unterstreichen als ein Fußballspiel. Dass gleich zwei deutsche Mannschaften gegeneinander spielen und das noch im Mutterland des Sports, wo der Fußball erfunden wurde, macht die Wirkung perfekt. „Die deutschen Cousins kommen“ titelte die in der Regel rauflustige, um Bezugnahmen auf den Zweiten Weltkrieg nie verlegene britische Presse. Die erste Sitzung in Brüssel nach dem Spiel wird für Deutschland also teuer werden. Die Kanzlerin ist gut beraten, sich an diesem Tag auf den Rat von Beamten zu verlassen, die keine Fußballfans sind und ihre Emotionen unter Kontrolle haben.
Noch liegen die Budgets von Real Madrid und dem FC Barcelona auch höher als die der beiden deutschen Finalisten. Aber die spanische Wirtschaftskrise macht sich zunehmend bemerkbar. München und Dortmund können bei den Einkäufen von Spielern mithalten. Am deutlichsten wurde diese Entwicklung kürzlich, als es den Bayern gelang, mit Pepe Guardiola den vielleicht zurzeit interessantesten Fußballtrainer auf der Welt zu verpflichten. Leicht wird der Job für ihn nicht werden. Aber noch größere Sorgen muss sich Nationaltrainer Jogi Löw machen. Fortan will die Nation von ihm nur noch Siege sehen, bis zum gewonnenen Finale 2014 bei der WM in Brasilien.
Es könnte tatsächlich ein „historisches“ Finale werden
Spannend könnte es für die deutsche Politik aber werden, weil sportliche Erfolge, vor allem im Fußball, politisch umgedeutet werden. Im Zeitalter des bewegten Bildes wird die Sogwirkung immer größer. Stärker denn je ertönen die Rufe in Europa, dass Deutschland Führungsaufgaben übernehmen müsse. Die Franzosen überhören dies, würden es gerne selber machen, aber die dafür erforderliche wirtschaftliche Basis bröckelt, auch die Briten, würden sie überhaupt so richtig zu Europa gehören wollen – was ja nicht immer der Fall ist. Der Norden Europas hat hingegen weniger Probleme mit einer stärkeren deutschen Rolle, interessanterweise auch Polen.
Somit könnte das deutsche Wembley-Finale auch dazu beitragen, dass das eher schwach ausgebildete deutsche Selbstbewusstsein wächst und die deutsche Politik Auftrieb bei dem Unterfangen erhält, auf dem Feld der europäischen Integration mehr zu wagen, oder anders formuliert: dem eigenen Lande zuzumuten, dass Deutschland der Zahlmeister des Kontinents bleiben wird. Bei Fußballspielen wird das Etikett „historisch“ in letzter Zeit geradezu inflationär vergeben, im Fall von Wembley – ob mit oder ohne Angela Merkel – könnte es zutreffend sein.
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