Deutsche und Deutschtürken sind sich in der letzten Woche auf Augenhöhe begegnet, eine wichtige Feststellung in unruhigen Tagen, in denen die Schreckensmeldungen aus Paris und aus dem belgischen Verviers zu uns herüberschwappten. Weniger sind damit die sichtlich bemühten Ausführungen des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu bei seinem Berlin-Besuch und einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen gemeint, in dem es auch um die Pressefreiheit in der Türkei und um die Gülen-Bewegung ging. Sie können aufgrund der Vergleiche nur ungläubiges Kopfschütteln hervorrufen, vor allem bei den journalistischen Berufskollegen, die wegen ihres Mutes zur Wahrheit im Gefängnis sitzen. Aber auf der anderen Seite haben wir in diesen Tagen auch gesehen, was Zivilcourage und untergehaktes Demonstrieren in der Öffentlichkeit bewirken können. „Entscheidend ist, dass wir miteinander reden“, sagte mir eine junge Deutsche mit türkischen Wurzeln, die sich seit Jahren um den Dialog der Kulturen im Großraum Mannheim bemüht.
Ohne die fortdauernden Risiken kleinreden zu wollen, lässt sich feststellen, dass in Deutschland ein anderes öffentliches Meinungsklima als in Frankreich herrscht. Dort kommt Vieles zusammen: das nicht bewältigte koloniale Kapitel der Franzosen in Nordafrika, die Probleme der Eingliederung der „weißen“ Algerien-Rückkehrer seit den 1960er Jahren, die nachfolgende massenhafte Zuwanderung von Muslimen und ihre unzureichende Unterbringung in den Wohnmaschinen der französischen Vorstädte, enorme Jugendarbeitslosigkeit und das Aufeinandertreffen auf die größte jüdische Minderheit Europas, bei dem von der einen Seite die Parolen und Kampfbegriffe des Nahen Ostens, verbunden mit wachsender, unakzeptabler Gewalt eingesetzt werden.
In Deutschland war und ist dies bislang – ganz anders. Darüber sollte man, ohne sich zu erheben, froh sein und diesen Schatz pflegen. Denn die erste Gastarbeitergeneration der Türken kam vor 50 Jahren als Freund nach Deutschland. Sie hatte nicht viel Bildung erwerben können, aber sie trug das Narrativ einer guten Beziehung zwischen zwei großen Nationen in sich, die sich jahrhundertelang auf Augenhöhe begegnet waren, die im Krieg sogar einmal Verbündete gewesen waren. Und wie die letzten Tage gezeigt haben, ist von dieser Freundschaft noch eine Menge übrig, sie liegt sozusagen in der Luft. Man muss sie nur inhalieren. Viele haben genau das in den letzten Tagen getan und besonders beeindruckt haben jene Initiativen, die von den muslimischen Gemeinschaften ausgingen. Die Skepsis eines erheblichen Teils der deutschen Gesellschaft wird deswegen nicht verschwinden, wie auch der massenhafte Erwerb der französischen Satirezeitschrift nicht als Indiz dafür angenommen werden kann, dass nun die große Versöhnung zwischen Muslimen und Christen einsetzt. Dazu bedarf es weiterhin großer Anstrengungen auf einem langen Weg.
Wie kann man sich als Deutscher fühlen, „wenn der eigene Name stets von neuem zur Disposition steht“?
Zum Miteinander-Reden gehört der Wille zur Wahrheit und somit auch die Feststellung des Preisträgers des letztjährigen Deutschen Dialogpreises Navid Kermani: „Es reicht nicht zu sagen, dass die Gewalt nichts mit dem Islam zu tun habe. In dem Augenblick, da sich Terroristen auf den Islam berufen, hat der Terror auch etwas mit dem Islam zu tun“. Wie man aus einem schrecklichen Generalverdacht herauskommen kann, auch dafür haben die letzten Tage in Frankreich, in Belgien, vor allem jedoch in Berlin und anderen deutschen Städten deutliche Fingerzeige gegeben. Man muss miteinander reden, es muss ein regelmäßiger Gedankenaustausch stattfinden, oder anders gesagt: ohne die Hilfe und Unterstützung der muslimischen Gemeinschaften lässt sich das Umfeld nicht ausleuchten, in dem sich junge Menschen für einen radikalen Kurswechsel in ihrem Leben entscheiden. Wenn sich hier etwas ändert, ohne einem Überwachungs- und Spitzelsystem das Wort reden zu wollen, wenn sich hier nach der monströsen Tat von Paris neues zusätzliches Vertrauen bildet, darf man hoffen.
Ohne Veränderungen im Verhalten der Mehrheitsgesellschaft wird dies jedoch nicht gehen. Auf einen sehr wichtigen Aspekt weist in diesem Zusammenhang eine französische Schriftstellerin hin, die zeitweise auch in Berlin lebt und in Frankreich die soziale Spaltung zwischen den Religionsgemeinschaften erlebt. Sie beginnt, so sagte sie gerade der Neuen Zürcher Zeitung, beim Namen. Wie kann man sich als Deutscher fühlen, so könnte man einen ihrer Gedanken abwandeln, „wenn der eigene Name stets von neuem zur Disposition steht“, wenn man sich zu erklären hat? Auch darüber sollte nachgedacht werden, angefangen in Personalabteilungen und Hausverwaltungen, in denen sich ein Mensch namens Ahmet oder Fatima um eine Stelle, um einen Verbleib, um ein Stück Heimat bewirbt.
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