Natürlich ist es wichtig und lohnenswert, sich von Zeit zu Zeit Gedanken über das eigene Land zu machen. Aber es ist schon ungewöhnlich, dass man seit 10 Jahren von einer Bundeskanzlerin regiert wird und sich plötzlich fragt, wer sie ist und vor allem, was sie in der Flüchtlingsfrage vor hat. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Tage einer gewissen Euphorie vorbei, der Winter naht, und der Zustrom der Flüchtlinge ist ungebrochen. Bundeskanzlerin Angela Merkel weigert sich, Obergrenzen zu nennen, ja überhaupt mit Zahlen zu arbeiten. Aber Zahlen sind die Grundlage des Regierungsgeschäfts, ohne Zahlen ist rationales politisches Handeln nicht möglich.
Dennoch ist verständlich, dass sich viele Menschen für die deutsche Willkommenskultur, für das Vorbild, das die Kanzlerin abgibt, begeistern, eine große Zahl von ehrenamtlichen Helfern, von Menschen, die etwas spenden, die etwas für die Neuankömmlinge tun. Auch von den Deutschtürken, die sich an den schwierigen Beginn von Eltern und Großeltern in Deutschland erinnern, ist viel Positives über die Bundeskanzlerin zu hören. Aber es gibt auch besorgte Fragen nach der Zukunft, nach einer Verschärfung von Gesetzen, die, so wird befürchtet, Auswirkungen auf die Menschen haben könnten, die in letzter Zeit in die Bundesrepublik gekommen sind, die z.B. den deutschen Pass noch nicht haben, sich aber hier schon zu Hause fühlen.
Politik bedenkt Folgen der Einwanderung nicht ausreichend
Drastische Änderungen sind nicht zu erwarten, aber ganz ist die Sorge nicht unbegründet, dass die massenhafte Einwanderung, die wir gerade erleben, weitreichende Folgen haben wird. Es sieht nicht danach aus, dass die Politik diese ausreichend bedenkt. Daher ist die Sorge und Unruhe in der Bevölkerung beträchtlich, sie ist weitaus größer als in den Medien berichtet wird. Und sie ist berechtigt.
Schon jetzt ist deutlich, dass es in Europa zu keiner echten Verteilung der Flüchtlinge kommen wird und damit nicht zu den von Deutschland propagierten Quoten. Anders als die Bundeskanzlerin sehen viele EU-Staaten durchaus die Möglichkeit, Flüchtlingsströme zu reduzieren. Weitgehend auf sich allein gestellt, ist Deutschland mit dem Problem überfordert. Es kann in diesem Jahr die Herausforderung, 800 000 bis 1 Millionen Menschen aufzunehmen, bewältigen, aber nicht auf Dauer. Daher wird Angela Merkel über kurz oder lang gezwungen sein, entweder einzulenken, die unerbittliche Realität zu akzeptieren oder persönliche Konsequenzen zu ziehen. Wenn permanent Wahlniederlagen drohen, lässt die Unterstützung einer Partei, in diesem Fall der CDU, schnell nach. Die bayerische Schwesterpartei CSU befindet sich schon längst auf Konfrontationskurs zur Kanzlerin.
Die deutsche Bereitschaft, Flüchtlinge in großen Zahlen aufzunehmen, verwundert in der Tat. Sie hat, wie junge Deutschtürken richtig beobachten, eine Menge mit der jüngeren Vergangenheit des Landes zu tun. Von daher gibt es einen großen Wunsch, Gutes zu tun und damit vielleicht auch etwas wieder gut zu machen. Sie hat aber auch mit dem protestantischen Hintergrund der Kanzlerin zu tun, mit dem: „Hier stehe ich und kann nicht anders“ – in Anspielung an den großen Reformator Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms, als dieser seine Gedanken und Schriften vor dem Kaiser verteidigte.
Dafür hat sie nicht das Mandat
Angela Merkel glaubt, sie hofft. Und natürlich kann der Glaube viel bewirken, Berge versetzen. Aber sie ist Regierungschefin eines Landes, in dem bislang das meiste innergesellschaftlich gesetzlich geregelt war, zu wenig improvisiert wurde. Es ist daher großartig, was gegenwärtig hierzulande bewältigt wird, was Behörden, Polizei und Hilfswerke leisten. Aber das Land stößt an Grenzen. Der Sozialstaat funktioniert nur dann reibungslos, wenn er sich abgrenzt. Schon jetzt müssen binnen kürzester Zeit zigtausende von Kitamitarbeitern, Lehrern und Sozialarbeitern eingestellt und Wohnungsraum beschafft werden. Willen allein reicht dazu nicht aus, die Anforderungen an die Gesellschaft sind gewaltig. Und je mehr Menschen in kurzer Zeit kommen, umso größer müssen die Zwangsmaßnahmen sein, die die Städte und Gemeinden erlassen. Gewiss kann man vorübergehend auf den Sportunterricht verzichten oder ihn im Freien ausüben. Aber die Zahl der in Flüchtlingsunterkünfte verwandelten Turnhallen zeigt an, wie nahe die Bundesrepublik ihren Belastungsgrenzen ist.
Angela Merkel scheint von derartigen Hinweisen unbeeindruckt. Die als sehr vorsichtig beschriebene Politikerin geht ihren Weg, entschlossen. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung verfolgt dies mit Erstaunen und wachsender Sorge. Denn es kann nicht sein, das ein einziger Politiker, also die Bundeskanzlerin, eine Risikopolitik betreibt, für die sie bei der letzten Wahl das Mandat der Wähler nicht erhalten hat.
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