Es gab in letzter Zeit viele Gedenktage. Vor allem der Ausbruch des Ersten Weltkriegs prägte die Debatten im letzten Jahr, zumal er mit der sich verschärfenden Krise um die Ukraine und die neuen Töne aus Moskau zusammenfiel. In wenigen Tagen steht nun ein weiteres Jubiläum an. Der Bundespräsident wird bei dem Festakt im Berliner Zeughaus ein Grußwort entrichten, andere werden sprechen und die Hauptrede wird Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble halten.
Es geht um Otto von Bismarck, den Gründer des Deutschen Reiches, der am 1. April 1815 zur Welt kam, in Berlin zur Schule ging und fast 30 Jahre lang, von 1862 bis 1890, die Geschicke des Landes entscheidend prägte. In Bismarcks Regierungszeit fiel der Zusammenschluss der vormaligen deutschen Kleinstaaten zu einem einzigen Land.
Leider war diesem Kaiserreich von 1871 keine lange Dauer beschieden. Es hatte sehr gute Kontakte zum Osmanischen Reich, aber leider nicht zu Frankreich. 1914 verstrickte es sich in einen Konflikt, den es nicht gewinnen konnte, weil am Ende die Amerikaner eingriffen und die Entscheidung herbeiführten – wie im Zweiten Weltkrieg. Deutschland hat seitdem erhebliche Teile seines Territoriums verloren, das es zur Bismarck-Zeit besaß, aber im Kern ist es noch immer das Land, das Bismarck schuf.
Bismarck war kein Alleinherrscher. Er hing in allem, was er vorhatte, vom König, später vom Kaiser ab, der seine Politik billigen musste. Dadurch entstand eine politische Schieflage: Deutschland entwickelte sich in rasantem Tempo von einem Agrarland zu einer Industrienation, aber die politische Entwicklung hielt damit nicht Schritt. Das Parlament hatte praktisch nichts zu entscheiden, der Monarch bestimmte den Regierungschef. Der Adel hatte somit das Sagen, obwohl sein Landbesitz immer weniger wert war. Die Gesellschaft war blockiert.
Sozialdemokraten und Katholiken heute nicht mehr stigmatisiert
Zum Teil aus taktischen Gründen machte Bismarck zwei Hauptfeinde aus, die er schärfstens bekämpfte: die Sozialdemokratie, damals noch marxistisch orientiert, und die Katholiken. Beiden Lagern warf er vor, unzuverlässig zu sein, sich gegenüber dem neu entstanden Nationalstaat illoyal zu verhalten. Längst sind die damals geschlagenen Wunden geschlossen: Die Sozialdemokraten haben Bundeskanzler gestellt, haben zusammen mit der FDP, den Grünen und in Großen Koalitionen das Land regiert, und heutzutage ist es genauso wenig ein Problem, wenn ein Katholik Regierungschef oder Bundespräsident wird. Schon der erste Kanzler der Bundesrepublik war katholischen Glaubens.
Aber Bismarck bleibt eine Figur, an der sich die Geister reiben. Vielleicht hängt es mit den weltweiten Krisen zusammen, dass sich die deutsche Politik im Vorfeld des Jubiläums nicht mit dem Außenpolitiker Bismarck befasst. Ohne Übertreibung kann man aber sagen, dass er in der neueren Geschichte des Landes auf diesem Gebiet die überragende Figur war. Bismarck genoss damals weltweite Anerkennung. Als er ging, veröffentliche eine britische Zeitung die berühmte Karikatur: „Der Lotse geht von Bord“. Das Bild traf zu, Bismarck hatte nicht die Nachfolger, die mit seiner kunstvoll aufgebauten Politik umzugehen wussten, die die Untiefen des außenpolitischen Geschäfts kannten.
Ohne Bismarck hätte sich das Nationalbewusstsein nicht gehalten
Ohne ihn, das lässt sich genauso sagen, wäre es nicht zum deutschen Nationalstaat gekommen. Das wussten auch die Ostdeutschen 1989/90, sie hatten die Nation nicht vergessen und wollten wieder in diesen Staat hinein.
Der Grund, warum sich die deutsche Politik um die Person Bismarck ein wenig herumdrückt, hängt auch damit zusammen, dass die alten Probleme der deutschen Politik die gegenwärtigen sind. Damals wie heute geht es um Russland. Bismarck kannte es gut, er hatte als preußischer Gesandter in St. Petersburg gelebt. Er kannte auch Frankreich und England in einem Ausmaß und mit einer Tiefendimension, wie es sie heute nicht gibt.
Moltke, der Generalstabschef und Gegenpart zu Bismarck in den drei Einigungskriegen, hatte sogar als Militärberater fünf Jahre lang in der Türkei gelebt. Wie steht es um die Europakenntnisse der heutigen Politiker?
Kein Zweifel, es lohnt sich in diesen Tagen, über den Mann nachzudenken, der auf seine Weise im Lande präsent geblieben ist: Es gibt Bismarckstraßen, Bismarck-Schulen und in den deutschen Städten viele Denkmäler. Er ist also noch da, ob wir wollen oder nicht.
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